Habt ihr heute schon im New Normal Synergien gebildet oder jemanden im Loop gehalten? Vielleicht habt ihr auch out-of-the-box gedacht, low-hanging-fruits geerntet oder ein Projekt agil gemanaged?

Wer zumindest hier und da mit „ja“ geantwortet hat: Glückwunsch, Du hast einen Deep dive in die Welt des Bullshit-Bingo gewonnen!

When the sky’s falling, I take shelter under bullshit.

Scott Lynch, Autor

 

Wer regelmäßig in Meetings sitzt, Workshops oder Präsentationen vorbereitet, ist mit der Mehrheit der aktuellen Buzzwords bestens vertraut. Und: Es werden gefühlt immer mehr. Was auch zunimmt, ist die Anzahl der Jobs, die sich mit der Produktion von geschriebenem und gesprochenem Wort beschäftigen. Einige Wissenschaftler:innen wie Andrew Spicer nennen als Ursache den gestiegenen Mitteilungsbedarf: Es reicht in der heutigen Zeit (vor allem: dem heutigen Marktumfeld) nicht mehr aus, bloß Dinge zu machen – man muss auch darüber sprechen. Und zwar nicht einfach so. Selbst kleine, lokale Betriebe und Produzenten kommen immer mehr auf den Trichter, an ihrer Brand zu arbeiten – also der Außenwahrnehmung der eigenen Marke, wenn man so will. 

Das soll nun nicht bedeuten, dass sich hinter jedweder Form der Außendarstellung direkt Bullshit verbirgt. Aber insbesondere hier tummeln sich munter bunte, wahllos aneinandergereihte Worte, die oft wenig konkrete Bedeutung haben. Wer noch den vorletzten kibibetter vor Augen hat, erinnert sich vielleicht noch an die Unternehmens-Purposes von McDonalds, RWE und Adidas – die man auch munter untereinander austauschen könnte.

Intelligenter Bullshit

 

Wie in meiner Einleitung deutlich wurde, finden Bullshit-Bingos nicht nur in der Werbung, sondern auch innerhalb von Unternehmen und Organisationen statt. Manager:innen und Berater:innen haben mit Werbeplakaten gemein, dass sie gerne schön klingende Worte – oft Anglizismen – verwenden, unter denen man sich alles mögliche vorstellen kann. Oder aber auch nicht. Aber auch hier gibt es qualitative Unterschiede, denn nicht jeder Bullshit ist guter Bullshit. 

Vorweg einen kurzer Definitionsversuch: Das Oxford English Dictionary beschreibt “Bullshit” als “rubbish” oder “nonsense”. Andrew Spicer wird hier etwas konkreter (frei aus dem Englischen übersetzt): “Bullshit ist ein Diskurs, der mit wenig Respekt vor der Realität oder ohne Bezug zur Realität geschaffen, verbreitet und konsumiert wird.” 

Im Gegensatz zum:zur Lügner:in, der:die genau weiß, dass und was er:sie an Unwahrheiten verbreitet, weiß der:die Bullshitter:in es nicht genau – es ist ihr:ihm einfach egal. Konkret kann das bedeuten, dass bewusst Worte oder Redewendungen gebraucht werden, deren Bedeutung viel Interpretationsspielraum lässt. Oder, dass Vorträge oder Gespräche derart irreführend geführt werden, dass es den anderen Gesprächsteilnehmenden schwer fällt, zu folgen und den:die Redner:in festzunageln. Auch das fällt unter Bullshitting.

Nun zurück zum guten Bullshit. Im vergangenen Jahr wurde ein wissenschaftlicher Aufsatz veröffentlicht, dessen Quintessenz es sogar in das Lifestyle-Magazin Freundin geschafft hat. Der Psychologe Martin Turpin hatte darin Studienergebnisse publiziert, die belegen, dass Menschen, die gut bulshitten können, auch intelligenter seien. Oh je – falsche Anreize? Nun ja. In diesem Guardian-Interview relativiert er seine Forschungsergebnisse – bzw. ordnet sie auf eine Art und Weise ein, die ich sehr sympathisch finde. Turpin erläutert, dass vielmehr der Umkehrschluss wichtig sei: Um guten Bullshit erzählen zu können, müsse man intelligent sein – ähnlich, wie es bei Humor der Fall ist. 

Buzzwording hält von der eigentlichen Arbeit ab

 

Um guten Bullshit zu fabrizieren, benötige man laut Turpin in erster Linie ein gutes Gedächtnis, Fantasie und analytische Fähigkeiten. Schön – aber sollte man diese Fähigkeiten nicht lieber anderweitig einsetzen? Es herrscht in der Bullshit-Wissenschaft (ja – es gibt tatsächlich zahlreiche Forscher:innen, die sich in verschiedenen Fachdisziplinen dem Thema nähern) weitgehend Einigkeit darüber, dass zu viel Bullshit in einem Unternehmen Schaden anrichten kann.

Wie genau sieht das aus? 

Eingangs habe ich bereits beschrieben, dass die Zeit, die damit verbracht wird, an Brandings zu feilen – oder auch an Präsentationen, die keinen anderen Zweck haben, als einer Managementrunde ein gutes Gefühl zu geben – nicht mehr für andere, ggf. produktive Tätigkeiten genutzt werden kann. Der wachsende Drang zur Selbstdarstellung (sei es als gesamte Organisation, Abteilung oder Einzelperson), frisst Ressourcen. Trotzdem muss ja auch etwas produziert werden, über das gesprochen oder das gebrandet werden kann – dafür bleibt schleichend weniger Zeit und Personal, wenn ständig in Meetings gesessen wird.

Darüber hinaus kann Bullshit Organisationen auch noch an anderer Stelle den sprichwörtlichen Saft abdrehen: Zu viele leere Worte und Floskeln können das Vertrauen der Mitarbeitenden in ihr Unternehmen und/oder ihre Führungskräfte massiv aushöhlen. Ein:e Chef:in, der:die nur Phrasen drischt aber sich nicht um konkrete Problemstellungen kümmert, kann damit vielleicht auf der obersten Ebene glänzen – aber nicht dort, wo die Arbeit gemacht wird und konkrete Probleme gelöst werden müssen. Mitarbeitende werden zynisch und tendieren schneller dazu, Aussagen vom Management direkt als Quatsch abzutun – weil sie es ihre bisherige Erfahrung gelehrt hat. Und noch ein Schritt weiter: Wer permanent von uneindeutigen, bedeutungslosen Worten umgeben ist, dem:der wird es irgendwann schwer fallen, sich noch mit seinem:ihrem Umfeld zu identifizieren. Sprache schafft Bewusstsein – und unklare Sprache schafft Unsicherheit (vgl. u.a. Christensen). Wofür steht mein:e Chef:in eigentlich? Wofür mein Unternehmen? Tja, irgendwas mit Digitalisierung oder Agilität vielleicht.

Aber warum ist die Welt dann voll mit Bullshit?

 

Gute Frage. Und der eigentliche Grund, weshalb ich diesen Aufsatz hier schreibe: Ich habe mich das auch immer wieder gefragt. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das alltägliche Buzzword-Bingo, dass in einigen Branchen und Bereichen stattfindet, ausschließlich der Selbstdarstellung dient und Organisationen schadet. Sonst hätten wir uns sicher längst schon kaputtgebullshittet.

Und ja – auf meiner Suche nach Antworten bin ich über einige interessante Erklärungsansätze gestoßen:

  1. Unklare Rollenerwartungen fördern unklare Sprache

Nicht ganz zu Unrecht wird insbesondere Führungskräften oft unterstellt, beim Bullshitten ganz vorne mit dabei zu sein. Wer jetzt ruft: “Früher war alles besser!” – hat vielleicht an dieser Stelle gar nicht so unrecht. Mittlerweile finden wir in vielen (westlichen) Unternehmen und Organisationen Strukturen, die sich – zumindest oberflächlich – von den alten, starren Hierarchien abgrenzen. Selbstorganisation und der:die Chef:in als Coach sind passenderweise Buzzwords, die mir hierzu einfallen. Und tatsächlich: viele Knowledge-Worker müssen und möchten von ihren Vorgesetzten keine direkten Arbeitsanweisungen erhalten – sie wissen selber, wie ihre Facharbeit zu erledigen ist. Tja – was macht denn die Führungskraft stattdessen? Genau: Unklare Anweisungen geben, die bestenfalls motivieren und definitiv so klingen, als wüssten sie genau, was fachlich zu tun ist und wie man menschlich ein:e gute:r Chef:in ist. 

 

  1. Strategische Spielräume offen lassen

Es kann vorkommen, dass auch der:die beste Berater:in oder Manager:in nicht weiß, wie sich Dinge entwickeln. Zugegeben – auch die können nicht in die Zukunft schauen. Dennoch muss man Mitarbeitende, Medien oder Kund:innen über Entscheidungen oder Entwicklungen informieren. Um hier eine Brücke zu schlagen, kann es ratsam sein, sich mit Bezug auf bestimmte Bereiche noch nicht final festzulegen. Dann wählt man am besten eine Formulierung, die definitiv klingt, aber noch ausreichend Spielraum offen lässt, um sich später nicht drauf festnageln zu lassen. Achtung: Wer das immer tut, macht sich unglaubwürdig und wird irgendwann nicht mehr gefragt.

 

  1. Heterogene Gruppen einen

Ein Beispiel, was mir dazu einfällt, ist mir in meinem Arbeitskontext einmal passiert. Ich saß in einer Fortbildung über digitale Transformationsprozesse. Es wurde viel über Agilität gesprochen. Ich hatte sofort Bilder von selbstorganisierten Entwickler-Teams in kleinen, dunklen Räumen vor mir. In der sich anschließenden Gruppenübung stelle sich heraus: Meine Mitstreiter:innen assoziierten Agilität in erster Linie mit flexiblem Arbeiten und Homeoffice. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Diese Effekte können aber auch bewusst genutzt werden: Positiv besetzte, unklare Begriffe erzeugen in heterogenen Gruppen trotz unterschiedlicher Hintergründe, Voraussetzungen und Standpunkte eine Einigkeit. Diese kommt daher zustande, dass alle zwar eine andere Vorstellung von der Sache haben – diese aber in der Regel positiv ist. Das geht aber auch andersherum: Ein gutes bzw. schlechtes Beispiel ist die Rhetorik und der damit zusammenhängende Wahlerfolg von Donald Trump.

 

  1. Eingeweihte bleiben unter sich – Gesichter wahren

Es ist hoffentlich zwischen den Zeilen bereits angeklungen: Viele Personen merken, wenn ihnen Bullshit erzählt wird und reagieren – zum Beispiel – mit Zynismus. Es gibt aber auch Fälle, in denen sich zwei Bullshitter:innen gegenüberstehen und bewusst nicht offen kommunizieren. Die Buzzwords – vorausgesetzt beide Gegenüber haben das gleiche Verständnis davon – dienen dann als eine Art Geheimsprache. So können Berater:innen zum Beispiel vor dem Kunden lästern, oder der:die Chef:in teilt einem:einer Mitarbeitenden eine persönliche Meinung in Chiffre mit, die er:sie nicht offen aussprechen dürfte. 

Mir ist mal etwas passiert, was ggf. auch in eine der letzten beiden Kategorien fällt. Ich muss in meinem Arbeitsalltag durchaus längere Phasen in Ruhe arbeiten können – so geht es sicher vielen. Diese Zeiten auch gegenüber Vorgesetzten, Kolleg:innen oder Klient:innen durchzusetzen, kann sich mal mehr und mal weniger schwierig gestalten. Ich habe festgestellt, dass mir signifikant mehr Verständnis entgegengebracht wird, wenn ich auf meine Deep Work Phasen hinweise. Letztendlich bedeutet es nichts anderes, als ungestört alleine an einer Sache zu arbeiten – wenn ich aber genau das anspreche, wird dennoch oft genug versucht, mir einen Termin unterzujubeln.

 

Don’t bullshit a bullshitter

 

Ob Bullshit jetzt gut oder schlecht ist, von Intelligenz oder Impertinenz zeugt – in meinen Augen ist der wichtigste Aspekt, dass sowohl Berater:innen als auch Manager:innen unterscheiden können sollten, wann Buzzword-Bingo nicht schädlich oder vielleicht sogar nützlich sein kann und wann Bullshitting definitiv nicht angebracht ist. 

Dazu ein praktischer Tipp: Wenn Du mit einem konkreten Problem zu Deinem:Deiner Chef:in gehst, und er:sie hat nichts als hohle Phasen für Dich übrig (“Du hast ein falsches Mindset!”, “Dann musst Du das eben besser managen!”, “Du musst die Prios shiften und den Workflow alignen.”) – nimm die Beine in die Hand und such’ Dir einen neuen Job.

 

Dieser Post ist im Original als Beitrag des kibibetters im Februar 2022 erschienen.