„Das Internet? Gibt’s den Blödsinn immernoch? Homer Simpson

Rückblickend bin ich sehr dankbar dafür, dass zu meiner Teenager-Zeit soziale Medien noch nicht omnipräsent und Smartphones noch nicht vorhanden bzw. bezahlbar waren. Es ist ein schönes Gefühl, all diese peinlichen Momente, Gedanken und Outfits irgendwo in den Gehirnwindungen und maximal auf externen Festplatten vergraben zu können und nicht spontan aus dem Nichts von ihnen überrascht zu werden. Dieser Luxus ist heute rar geworden. Und da das Internet sehr rapide einen immer größeren Stellenwert im Leben der meisten Menschen einnimmt – der Konsum von Onlineinhalten hat sich in 2020 sogar verdoppelt – stellt sich uns die Frage:

Kann man immer noch einfach ausschalten?

Ich kann mich noch an den warnenden Satz meiner Mutter erinnern: “Poste nichts im Internet, was du nicht auch vor allen Leuten sagen würdest.” Und tatsächlich lässt sich sagen, dass die ersten Internet-Personas noch recht weit von der Offline-Persönlichkeit entfernt waren. Ist hier irgendjemand dabei, der sich noch an den New Yorker Cartoon von 1993 erinnert: On the Internet, nobody knows you’re a dog ? Mit der Invasion des Internets in sämtliche berufliche und private Bereiche wurde die Trennung von On- und Offline-Persönlichkeit jedoch stark aufgeweicht. Studien belegen, dass die meisten Onlinenutzer ihre Offline-Persönlichkeit ins Netz mitnehmen. Vor diesem Hintergrund musste sogar der New Yorker sein Meme updaten:

Persönlichkeitstests können mittlerweile vorhersagen, wie sich Personen im Internet verhalten. Und hier leitet sich ein interessanter Gedanke ab: Online-Trolle sind auch im echten Leben unangenehme Menschen. Haben wir eigentlich auch schon vorher gewusst. Was einige vielleicht auch bereits gewusst haben, dass selbst der Pornokonsum etwas über unsere Persönlichkeit aussagen kann – unter welchen Neurosen wir leiden zum Beispiel. Ob angedacht ist, auf diesem Wege teure Therapiestunden zu ersetzen, ist uns noch nicht bekannt.

Was uns aber bekannt ist, ist die kurze Aufmerksamkeitsspanne von Gen Z (für alle Boomer da draußen: alle, die zwischen 1997 und 2010 geboren wurden). Diese liegt bei acht Sekunden. Hier können wir uns als stolze Millennials abgrenzen: Unsere durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne ist ganze vier Sekunden länger. Ich werde daher auch nicht preisgeben, wie oft ich beim Schreiben dieses Beitrags parallel auf Instagram war. 

Gen Z ist die erste Generation, die in einer Welt aufwächst, in der das Internet bereits von Beginn an sämtliche Lebensbereiche tief durchdrungen hat. Was das für gesellschaftliche und politische Entwicklungen bedeutet, wird sich zeigen. Aktuell werden die Gewohnheiten der Generation Greta in erster Linie aus Marketingsicht seziert. Auffällig ist hierbei ein starker Wunsch nach Authentizität – ein krasser Gegenentwurf zu den gephotoshopten und bis zur Unkenntlichkeit gefilterten Persönlichkeiten auf Instagram. Oder vielleicht auch nur eine Reaktion darauf. Interessant an Gen Z ist, dass ihr gerade online eine schlechte Medienkompetenz bescheinigt wird. Sie sei weniger gut in der Lage, Fake News zu erkennen, da sie sich bei der Online-Information eher davon leiten ließe, mit wem ihre Mitglieder sich persönlich identifizieren und weniger davon, wie seriös die Quelle ist. Gut, ich persönlich identifiziere mich auch nicht so sehr mit Claus Kleber, habe das aber zugegeben bislang nie als Basis für seine Glaubwürdigkeit in Betracht gezogen. Naja, man wird eben nicht jünger. 

Als weiterer möglicher Grund für die Leichtgläubigkeit der nachwachsenden Generationen wird eine Informationsflut angeführt, die kaum Zeit lässt, sich kritisch mit Themen auseinanderzusetzen. Jede:r der/die mittlerweile nur noch die Überschriften und maximal die Teaser-Texte auf Spiegel Online liest, wird das bestätigen können. Was uns zurück zum Thema Abschalten – oder Digital Detox führt. Digital Detox ist schon seit einer Weile ein Trend und wahrscheinlich auch schon wieder out. Spannend hieran ist, dass extra ein Anglizismus erfunden werden musste, um ein Verhalten gesellschaftsfähig zu machen, was ansonsten eher verpönt war und ist: offline sein. Was vor dem Hintergrund dann auch wenig überrascht, ist, dass es erschreckend viele Apps gibt, die einem ausgerechnet dabei helfen sollen, weniger am Smartphone zu sein

Wer gesagt bekommen muss, dass ein Baum stirbt, wenn er/sie nicht das Handy aus der Hand legt, mag zugegebenermaßen ein Problem haben. Aber dass zu viel Online-Aktivität ungesund ist, ist in der Tat nicht neu. Wer jedoch mal ohne Smartphone das Haus verlassen möchte, kann spätestens seit Corona Probleme bekommen. Apps wie die kolossal gescheiterte luca App sollten uns dabei helfen, ein Stück Normalität in der Pandemie zurück zu bekommen, zwingen uns aber auch zur Nutzung eines mobilen Endgerätes. Gleiches gilt auch teilweise schon für die Authentifizierung bei Bankgeschäften, die nur über Apps ermöglicht wird. Für einige Altersgruppen und Gesellschaftsschichten kann das größere Probleme darstellen als eine vermasselte Smartphone-Fastenkur.

Mit einem Rückbezug zum Einstieg über peinliche Teeny-Fotos wären wir außerdem bei einem anderen Thema, welches den Möchtegern-Ausschaltern erschwert wird: Die Löschung eigener personenbezogener Daten aus dem Gedächtnis der Online-Suchmaschinen. Das Recht auf Vergessenwerden wirft viele spannende (und größtenteils unbeantwortete) Fragen darüber auf, wie viel Kontrolle wir eigentlich wirklich über unsere Daten haben. Wie sagt man so schön: Im echten Leben ist das Vergessen die Regel und das Erinnern die Ausnahme – im Internet ist es andersherum. Und so stehen sich weiterhin Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit gegenüber.

Vielleicht, so schlägt es Vergessenwerden-Initiator Viktor Mayer-Schönberger vor, wäre ein digitales Verfallsdatum denkbar, welches Daten automatisch nach einer fixen Anzahl von Jahren im Netz löscht. Ob das technisch machbar und sinnvoll ist (wie wird ein Ablaufdatum zum Beispiel beim Anfertigen von Kopien festgelegt?), erörtern wir ggf. ein andermal. 

… und wer bis dahin noch eine passende Literaturempfehlung sucht, dem kann ich Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez ans Herz legen. Vorzugsweise analog.

 

Dieser Post ist im Original als Beitrag des kibibetters im September 2021 erschienen.